Die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie reicht nicht aus.
Corona, schon längst aus den Medien und den Köpfen der Bürger verschwunden, ist auf wundersame Weise wieder zurück. Doch nicht steigende Infektionszahlen, sondern interne Dokumente des Robert-Koch-Instituts (RKI) sorgen für Aufregung. Dabei geht es um die Frage, wer hat was entschieden. Das mag ja ganz interessant sein, bringt aber im Hinblick auf die Aufarbeitung des Corona- Managements kaum etwas.
Bisher gab es keine ernsthaften Versuche, die föderalen Entscheidungsstrukturen, die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen, die Rolle von RKI, dem BM Gesundheit, der Wissenschaft, der Medien zu untersuchen. Nicht, um Fehler von Institutionen oder verantwortlichen Personen anzuprangern, sondern um daraus zu lernen für zukünftige Krisenbewältigung.
Die bisher größte Anstrengung zur Aufarbeitung der Pandemie hat 2022 eine Sachverständigenkommission im Auftrag des BM Gesundheit unternommen, die mit dem Titel „externe Evaluation“ geadelt wurde. Doch weder ist dieser Versuch eine Evaluation zu nennen, noch war der politische Wille vorhanden, die Arbeit der Kommission personell und finanziell auszustatten. Deshalb konnte die Kommission nur mit rudimentären Ergebnissen aufwarten, die von vielen Experten kritisiert wurden. Doch das magere Ergebnis ist nicht der Kommission anzulasten, sondern neben der mangelhaften Ressourcen-Ausstattung vor allem dem Mangel an aussagefähigen Daten.
Ein grundlegendes Versäumnis. Alle Vorschläge, während der Pandemie zum Beispiel ein systematisches Pandemiemonitoring mithilfe großer Zufallsstichproben zu etablieren und die Wirksamkeit verordneter Maßnahmen zu evaluieren, verpufften.
Nach wie vor liegen keine ausreichenden Datengrundlagen vor, die eine solide Bewertung des Krisenmanagements und der Wirksamkeit der verordneten Maßnahmen belegen. Doch es geht auch anders: Das Bundesamt für Gesundheit der Schweiz ließ die Krisenbewältigung der Pandemie sowie die Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit der gesundheitlichen Maßnahmen zur Verringerung der Ausbreitung des Coronavirus extern wissenschaftlich untersuchen. Die Ergebnisse der 2020-2022 durchgeführten Evaluation sollen die schweizerische Regierung dabei unterstützen, Lehren aus den Erfahrungen mit der Corona-Pandemie zu ziehen. (www.interface-pol.ch)
Auch wenn in Deutschland eine solche Evaluation viel zu spät kommt und die Versäumnisse durch fehlende Evaluationen während der Pandemie große, nicht wieder gutzumachen Datenlücken hinterlassen haben, ist es noch nicht zu spät, um aus Fehlern zu lernen. Die FDP hat schon vor einem Jahr für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Pandemie und des Krisenmanagements die Einsetzung einer Enquetekommission gefordert. Immerhin! Doch das wird nicht reichen. Eine Enquete-Kommission wird genauso scheitern wie die Sachverständigekommission des BM Gesundheit und zwar vor allem an fehlenden Daten! Diese können durch eine breit angelegte Evaluation (siehe das Schweizer Beispiel) jedoch beschafft werden und zu aussagefähigen belastbaren Ergebnissen führen. Ziel sollte dabei nicht alleine die Aufarbeitung der Pandemie sein, sondern die Ergebnisse sollten vor allem dazu genutzt werden, für die Bewältigung zukünftiger Krisen zu lernen. Deshalb muss jetzt endlich evaluiert werden!
28.3.2024
Allein verantwortlich für den Text :
Senior Prof. Dr. Reinhard Stockmann
Direktor Centrum für Evaluation (CEval)
Universität des Saarlandes
Dudweiler Landstraße 5
DE – 66123 Saarbrücken
Tel.: +49 681 387539 71 oder +49 6206 79198
email: r.stockmann@ceval.de
web: www.ceval.de
Reinhard Stockmann ist Senior-Professor für Soziologie und Gründer und Direktor des Centrums für Evaluation (CEval) an der Universität des Saarlandes, Gesellschafter der universitären Ausgründung CEval GmbH, Leiter des englischsprachigen Studiengangs „Master of Evaluation“, Mitbegründer und (von 2002 bis 2022 geschäftsführender) Herausgeber der Zeitschrift für Evaluation, Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Evaluation (DeGEval) sowie des AK Entwicklungspolitik. Von 2004 bis 2021 hat er den von ihm mitgegründeten ersten deutschsprachigen Masterstudiengang Evaluation geleitet. Er hat ca. 300 Artikel und rund 50 Bücher publiziert und herausgegeben von denen einige in 6 Sprachen übersetzt wurden. Er hat mehrere hundert Evaluationen in zahlreichen Ländern durchgeführt und beschäftigt sich seit über 40 Jahren insbesondere mit Theorien und Methoden der Evaluation sowie mit den Themen Entwicklungszusammenarbeit/-politik, Bildung, Berufsbildung, Umwelt und Auswärtige Kulturpolitik
Titelbild von Philipp Lenssen auf Unsplash.